Wechsel das Glas!

 

Manchmal gehe ich durch meinen Garten und sehe an jeder Ecke Unkraut stehen, die Rosen haben Sternrußtau, der Buchsbaum – ja, es gibt ihn noch – braucht einen Nachschnitt und gießen müsste man auch mal wieder: Arbeit, wohin man schaut! An anderen Tagen sehe ich auf die neu gepflanzte Hortensie, die gut gedeiht, erfreue mich an frisch gemulchten Beeten und dem kurz geschnittenen Rasen – viel geschafft, fein!

Nicht die Realität ist entscheidend, sondern wie wir sie wahrnehmen und bewerten. Sie kennen sicher die quälende Frage: Ist das Glas nun halbleer oder halbvoll? Wir haben das Thema ja auch hier schon bearbeitet. Doch was wäre, wenn das Problem gar nicht in der Füllmenge läge, sondern in der Größe des Glases? Denn wenn nur 50 Prozent gefüllt sind, ist halt immer noch viel Luft nach oben – egal, wie man es betrachtet. Das Glas repräsentiert meine Erwartungshaltung: Es steht mir zur Verfügung, deshalb muss es auch voll gemacht werden! (Oder, um beim Garten zu bleiben, meinem Anspruch an perfekte Gartengestaltung und gut gepflegten, gesunden Pflanzen muss Genüge getan werden.) Doch wer teilt die Gläser zu? Oder ist es meine Entscheidung, wie groß mein Glas ist?

Zäumen wir das Pferd doch einfach einmal von hinten auf: Kann ich mein Glas passend zur Füllmenge wählen? Den Inhalt ggf. umfüllen? (Wie bei einer Diät: Damit die reduzierte Essensmenge nach mehr aussieht, fülle man sie auf einen kleineren Teller!)

Warum sind diese Fragen wichtig? Ein großes Glas spricht für eine hohe Erwartung an das Leben: Da muss noch was gehen – das steht mir zu – höher, schneller, weiter. Doch Glück funktioniert anders: Innehalten, wahrnehmen und genießen, was ist. Dann hat mein Glas immer genau die richtige Größe für das, was gerade ansteht.

So gehe ich durch den Garten, erfreue mich an der Blütenfülle der Rosen und Hortensien, daran, dass der Buchbaum noch nicht vom Buchsbaumzünsler erwischt wurde und gut wächst, und greife beherzt zur Gießkanne. Derselbe Garten, gleiche Momente – und doch so unterschiedlich in ihrer Wirkung.

Muss man sich jetzt mit einem kleinen Schnapsgläschen bescheiden, wenn man sich eigentlich eine großzügig bemessene Sektschale wünscht? Nicht unbedingt – manchmal können uns positive Erwartungen auch beflügeln. Doch hat sich inzwischen herausgestellt, dass die Suche nach Glück nicht unbedingt zur Glückseligkeit beiträgt. Glück sucht man nicht, man findet es! Hier ist mal nicht der Weg das Ziel, sondern das Ziel der Weg.